Vom 9. bis 12. April 2024 fand das erste Dialogseminar der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Studentenverbände (AGV) e.V. in Washington, D.C. statt.
Lose an Ronald Reagans Wahlkampfslogan von 1980 angelehnt, lautete das Motto des Seminars „Are we better off than we were four years ago?“, bei dem die US-Präsidentschaftswahl 2024 im Vordergrund der einzelnen Gespräche stand. Ein weiteres Kernanliegen der AGV, die Bewahrung der Meinungsfreiheit in der Gesellschaft und insbesondere an unseren Hochschulen, spielte ebenfalls für das Dialogseminar eine entscheidende Rolle. Dabei wurde die Bedeutung der Meinungsfreiheit und ihre Entwicklung in den USA zu diskutiert. Wie weit haben Wokeness und Cancel Culture die Debatten in Nordamerika verändert und damit die Meinungsfreiheit eingeschränkt?
Gemeinsam mit den Vororten des CV, KV, UV und RKDB führten wir zu diesem Themenkomplex aufschlussreiche Gespräche mit Christian Forstner, dem Leiter des Auslandsbüros der Hanns-Seidel-Stiftung, sowie mit Journalisten des ZDF-Auslandsbüros in Washington. Die Gesprächspartner warfen ein kritisches Licht auf die dortige politische Berichterstattung sowie die Polarisierung und deren Einflüsse auf die öffentliche Meinung. Besonders die amerikanische Medienlandschaft verstärkt die Spaltung, indem man in einigen Sendern eine reine „Anti-Trump-Show“ oder „Anti-Biden-Show“ verfolgen kann.
Von Dr. Thomas Rehermann, dem Vorsitzenden des CDU-Freundeskreises, erhielten wir weitreichende Einblicke in die aktuelle Wokeness-Bewegung, ihre Entstehungsgeschichte und ihre verbreiteten Inhalte. Dabei warnte Dr. Rehermann eindrücklich vor der Spaltung durch die Ideen der Bewegung und der „White-Privilege“-These, die eine gesamte Menschengruppe aufgrund ihrer Hautfarbe als privilegiert abstempelt, ohne die Geschichte des einzelnen Menschen zu beleuchten.
Ein weiteres wesentliches Thema unseres Dialogseminars war die Rolle der Kirche in den USA im Kontext aktueller kirchlicher und politischer Entwicklungen.
Ein Höhepunkt des Seminars war zweifellos das Gespräch mit s.E. Erzbischof Timothy P. Broglio, J.C.D., dem Vorsitzenden der Amerikanischen Bischofskonferenz und gleichzeitigem Erzbischof für das US-amerikanische Militärordinariat. Erzbischof Broglio teilte tiefgehende Einblicke in die Herausforderungen und Chancen, denen sich die Kirche in den USA gegenübersieht. Er betonte die zentrale Aufgabe der Evangelisierung für die Christen und sprach über die Notwendigkeit, Freude am Glauben auszudrücken. Dabei hob er die Bedeutung einer starken Online-Präsenz hervor, um auf den sozialen Plattformen der jungen Menschen Angebote zu machen und sie für den Glauben zu gewinnen und zu halten. Er betonte auch die Bedeutung der Militärseelsorge als größte einzelne Quelle für Berufungen in den USA sowie die allgemeine Entwicklung der Weltkirche und des Synodalen Wegs.
Ein weiterer außerordentlich interessanter Termin während unseres Dialogseminars war das Gespräch mit Grover Norquist, dem Gründer und Präsidenten von „Americans for Tax Reform“ und Andreas Hellmann von der Tholos Foundation. Norquist erörterte die zentrale Rolle der Steuerpolitik bei der Veränderung der politischen Landschaft in den USA. Er erklärte, wie die Republikaner mit dem Thema Steuersenkungen zunehmend Erfolge erzielt und überhaupt erst Mehrheiten in den Kammern des US-Kongresses gewonnen hätten. Dies hätte dazu geführt, dass die Steuern in vielen Bundesstaaten kontinuierlich gesenkt wurden und republikanisch regierte Staaten tendenziell weniger öffentliche Gelder ausgeben. Norquist betonte auch den Trend, dass sich Republikaner vermehrt in Staaten mit niedrigeren Steuern niederlassen.
Ein in den USA viel diskutiertes Thema ist außerdem die Schulwahl („School Choice“), also der spezielle Wunsch vieler Eltern, ihre Kinder frei auf Schulen senden zu dürfen. Dabei sollen die Eltern den kompletten Anteil des an den Staat gezahlten Schulgeldes auf private Schulen übertragen können, was laut Norquist erheblichen Einfluss auf das Wahlverhalten der Menschen hat. Hellmann unterstrich dabei die Bedeutung für junge Eltern, die stets vor die Wahl zwischen den verschiedenen Schulsystemen gestellt werden. Dieses Gespräch bot uns tiefe Einblicke in die Dynamik politischer Debatten und die Kultur der politischen Kommunikation.
Da der Cartellverband weltweit vertreten ist, trafen wir auch Dr. Bernhard Steinki (CV) und Dr. Axel Spies (CV) im fernen Washington. Während Dr. Spies seinen Weg zur Großkanzlei Morgan Lewis und die aktuelle politische Situation in den Vereinigten Staaten beschrieb, führte uns Dr. Steinki als leitender Jurist durch den Internationalen Währungsfonds (IWF). Mit ihm besprachen wir die Herausforderungen der globalen Wirtschaft und erhielten Einblicke in die wirtschaftliche Beratung sowie die Risikoanalyse, wodurch wir die Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Politik beleuchteten.
Während unseres Dialogseminars in Washington thematisierten wir auch das ernste Thema des Antisemitismus an Universitäten in Gesprächen mit Prof. Dr. Peter K. Kilpatrick, Präsident der Catholic University of America, Prof. Kim Daniels, Direktorin der Initiative für Katholische
Soziallehre and Öffentliches Leben an der Georgetown University und Dr. Stephen Schneck, Kommissar der United States Commission on International Religious Freedom.
Prof. Dr. Kilpatrick hob hervor, dass katholische Universitäten nicht nur eine Bastion der religiösen Freiheit darstellen, sondern auch einen sicheren Raum für jüdische Studenten bieten, die sich zunehmend kritischen und oft hitzigen Debatten rund um den Israel-Konflikt ausgesetzt sehen. Er betonte die Verantwortung dieser Bildungseinrichtungen, ein Umfeld zu fördern, das sowohl die Meinungs- als auch die Glaubensfreiheit schützt und pflegt. Mit Dr. Schneck wiederum diskutierten wir die breiteren gesellschaftlichen Herausforderungen im Umgang mit religiösem Hass und Diskriminierung und die Rolle der akademischen Gemeinschaft bei der Bewältigung dieser Probleme.
In unseren zahlreichen Diskussionen während des Seminars kam immer wieder die tiefgreifende Spaltung der amerikanischen Gesellschaft zur Sprache, die einige Referenten auf die Abschaffung der Wehrpflicht zurückführen. Sie argumentierten, dass diese einst eine Schlüsselrolle bei der Durchmischung verschiedener sozialer Schichten spielte, deren Fehlen heute deutlich spürbar ist – eine Beobachtung, die auch wir aus Deutschland bestätigen konnten. Zusätzlich tritt die Kluft innerhalb der Gesellschaft besonders im Bildungsbereich hervor. Wohlhabende Familien tendieren dazu, ihre Kinder auf Privatschulen und renommierte Colleges zu schicken, während Familien mit geringeren Einkommen auf öffentliche Bildungsangebote angewiesen sind, was die soziale Trennung weiter verschärft.
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